Im Ergebnis des Brexit-Referendums steht fest, dass das Vereinigte Königreich (UK) aus der Europäischen Union (EU) austreten wird – wann und zu welchen Bedingungen ist derzeit unklar. Das derzeit diskutierte EU-Austrittsgesetz sieht vor, EU-Recht weitgehend identisch in britisches Recht zu übertragen. Betroffen sind etwa 12.000 EU-Gesetze. Das Austrittsgesetz enthält jedoch auch Klauseln, die weitreichende Gesetzesänderungen ohne volle Beteiligung des Parlaments zulassen. Somit ist ungewiss, ob das UK das in nationales Recht umgesetzte EU-Recht unverändert bestehen lässt oder dieses harmonisierte Recht nach und nach verändert oder ganz abschaffen wird. Es droht ein „Rückbau“ der EU-Regelungen. Kommt eine Einigung über die Bedingungen des Austritts nicht zustande, so finden jedenfalls zwei Jahre nach dem Austrittsantrag, d.h. ab dem 29. März 2019, die EU-Verträge und auch das sonstige EU-Recht, soweit es noch nicht in nationales Recht umgesetzt ist, für das UK auf einen Schlag keine Anwendung mehr (sog. „Hard Brexit“).
Bei der Gestaltung neuer Verträge oder Anpassung bestehender Verträge mit Bezug zu UK kann den Unsicherheiten vorgebeugt werden.
1. Hat mein Vertrag als Vertragsgebiet das „Gebiet der EU“ geregelt?
Sieht beispielsweise ein Vertriebsvertrag Gebietsschutz für die exklusive Tätigkeit eines Vertriebspartners in dem „Gebiet der EU-Mitgliedstaaten“ ohne nähere Erläuterung vor, so führt das Ausscheiden von UK aus der EU zu einer Unklarheit der Regelung. Soll der Vertriebspartner weiter exklusiv das UK-Gebiet bearbeiten dürfen oder entfällt der Gebietsschutz für UK mit dem Wegfall der Mitgliedschaft? Wollten die Vertragspartner also auf den Stand der EU-Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abstellen und somit unabhängig von der tatsächlichen EU-Mitgliedschaft und dem dort geltenden EU-Recht das UK-Gebiet dem Gebietsschutz unterwerfen (sog. statische Verweisung) oder sollte das Vertragsgebiet automatisch an den jeweils aktuellsten Stand der EU-Mitgliedstaaten angepasst werden, da es den Vertragsparteien darauf ankam, den Vertrieb auf Mitgliedstaaten der EU zu beschränken, da für diese andere Regelungen gelten als für Nicht EU-Mitgliedsstaaten (sog. dynamische Verweisung). Ohne eine Klarstellung, was unter der Formulierung „Gebiet der EU-Mitgliedstaaten“ zu verstehen ist, kann es zu Auslegungsunsicherheiten hinsichtlich des nach dem Vertrag zulässigen Vertragsgebietes kommen.
Empfehlung: Definieren Sie klar und eindeutig, ob Sie eine statische oder dynamische Verweisung regeln wollen, wenn Sie auf das Vertragsgebiet der EU bzw. der EU-Mitgliedstaaten abstellen.
2. Soll auf meinen Vertrag „englisches Recht“ anwendbar sein?
Bisher war auch bei Rechtswahlklauseln, die die Geltung englischen Rechts vorsehen, zumindest klar, dass das für jeden Mitgliedstaat unmittelbar anwendbare EU-Recht (EU-Verordnungen) Geltung entfaltet und diejenigen Richtlinien der EU, die in nationales Recht umgesetzt worden sind, sowieso. Je nach dem Ergebnis der Austrittsverhandlungen bzw. der Abstimmung über das Austrittsgesetz ist künftig die Geltung der EU-Regelungen und des auf der Umsetzung von EU-Richtlinien basierenden nationalen Rechts nicht mehr ohne weiteres sicher. So hatte UK z.B. schon bei der Umsetzung der Handelsvertreter-Richtlinie einen im Vergleich zur deutschen Regelung nur abgeschwächten Ausgleichsanspruch für den Handelsvertreter bzw. Vertragshändler vorgesehen. Künftig kann es hier zu Auseinanderentwicklungen kommen.
Empfehlung: Bei den Verhandlungen zur Vereinbarung der Geltung des englischen Rechts sollten diese Unsicherheiten berücksichtigt werden. Regelungen, auf die es Ihnen besonders ankommt, könnten individuell im Vertrag mit dem Vertragspartner vereinbart werden oder die Rechtswahl ein anderes anwendbares Recht vorsehen.
3. Wird für Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag auf ein UK-Gericht verwiesen?
London ist derzeit einer der attraktivsten Gerichts- und Schiedsstandorte weltweit. Die Anerkennung und Vollstreckung von vor englischen Gerichten erstrittenen Urteilen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ist bislang aufgrund der Regelungen der EuGVVO ohne Probleme möglich. Mit dem Austritt aus der EU ist die EuGVVO im UK jedoch nicht mehr anwendbar, wenn sie nicht in nationales Recht umgewandelt wird. Eine Vollstreckung von vor englischen Gerichten erwirkten Urteilen in EU-Mitgliedstaaten oder von im UK zu vollstreckenden Urteilen von EU-Mitgliedstaaten wird damit höchstwahrscheinlich aufwendiger, langwieriger und teurer. Selbst wenn in UK nationale Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen erfolgen, bleibt eine weitere Unsicherheit. Gerichte der EU-Mitgliedstaaten oder auch der einzelne Bürger können bisher den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anrufen, wenn sie Zweifel bei der Anwendung und Auslegung von EU-Rechtsvorschriften haben. Der EuGH soll dazu dienen, das Recht zu harmonisieren und seine einheitliche Anwendung und Auslegung zu sichern. Künftig werden UK-Gerichte oder UK-Bürger den EuGH wohl nicht mehr anrufen können.
Empfehlung: Als Alternative zu einer Gerichtsstandvereinbarung besteht auch die Möglichkeit der Vereinbarung eines Schiedsverfahrens. Schiedssprüche sind unabhängig von einem Brexit aufgrund des u.a. durch UK ratifizierten New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (1958) vollstreckbar.
4. Regelt mein Vertrag einen Anspruch auf Vertragsanpassung für etwaige Rechtsfolgen eines Brexit?
So unklar die Rechtsfolgen eines Brexit im Moment noch sind, so klar ist, dass sich Auswirkungen auf bestehende Verträge ergeben können und voraussichtlich werden. So wird der Austritt aus der EU aber auch aus den bestehenden Freihandelsabkommen der EU mit außereuropäischen Ländern zu veränderten Kosten und Zöllen führen.
Empfehlung: Vereinbaren Sie bestenfalls jetzt schon Kündigungs- oder Anpassungsmöglichkeiten für den Fall, dass sich unmittelbar aus dem Brexit nachteilige Auswirkungen auf ihren Vertrag ergeben.